Gutes Brot ist ganz buchstäblich ein Ergebnis guten Handwerks.

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Steven Kaplan sagt den Parisern, wo es die beste Baguette gibt - und dem Rest der Welt, warum gutes Brot wirklich wichtig ist.

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Dass die symbolische Bedeutung des Brotes in den westlichen Gesellschaften so massiv abgenommen habe, dass etwa täglich Tonnen an Brot achselzuckend weggeworfen würden, ist für Steven Kaplan leicht zu erklären: "Für uns im Westen ist Brot nicht mehr besonders wichtig." Der Historiker, Professor an der US-Uni Cornell und der französischen Uni Versailles-St. Quentin ist ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des Brots und Autor zahlreicher Bücher.

Was Kaplan über Brot zu sagen hat, findet international Gehör. In Frankreich, das ihn für seine Verdienste um die Qualität der Baguette mit dem Orden der Ehrenlegion auszeichnete, gelten seine Guides zu den besten Bäckern von Paris zur Standardaustattung gepflegter Haushalte - und zwar trotz (oder vielmehr wegen?) seiner Aussage, dass "gut 70 Prozent des in Frankreich verkauften Brots völlig geschmacklos" sei. In jüngster Zeit aber beschäftigt er sich zunehmend mit den politischen Auswirkungen, die mangelnde Brotqualität etwa auf die politischen Umwälzungen im Mittleren Osten hatte.

Weltmarktpreis für Getreide

Dort, so Kaplan, nehme Brot nämlich nach wie vor den überragenden Platz in der Nahrungspyramide ein, den es in Europa bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt hat. "Die Aufstände in den arabischen Ländern hängen eng mit dem Brotpreis zusammen. Schon 2008 gingen die Ägypter auf die Straße, um gegen explodierende Preise zu protestieren, sagt Kaplan, "damals ließ Mubarak Brot verteilen, um die Menschen zu beruhigen."

Drei Jahre später sollte ihm das nicht mehr gelingen. Von Juni 2010 bis Juni 2011 verdoppelte sich der Weltmarktpreis für Getreide nahezu. Ägypten als größten Weizenimporteur der Welt traf das besonders hart; zwanzig Prozent der Bevölkerung leben mit weniger als einem Dollar am Tag und müssen von der Regierung mit subventioniertem Brot versorgt werden. "Die Bilder vom Arabischen Frühling zeigen deutlich, wie sich die Straßen von Kairo mit Menschen füllten, die wütend Brotlaibe in der Hand schwangen. Das war ein Protest gegen die Preise, aber auch gegen die armselige Qualität des Brotes", sagt Kaplan.

Denn die Versorgung der Bevölkerung mit Brot sei schon immer Grundlage für sozialen Frieden gewesen. "Auf ausreichenden Mengen Brot haben die Menschen immer bestanden", fährt Kaplan fort, "genauso wie darauf, dass es von Qualität ist und gut aussieht. Das Volk kann sich zwar damit abfinden, dass es nur Brot gibt; doch wenn sogar das rar wird und es noch dazu schlecht ist, kommt es zu Protesten."

"Pain Égalité"

So sei etwa die Französische Revolution nicht zuletzt Folge einer schlechten Brotversorgung gewesen. "Doch auch die Führer der Revolution - und später Napoleon - benahmen sich wie die Herren vergangener Zeiten. Und sie waren darauf bedacht, ihre Untertanen, um sie ruhigzustellen, mit Brot zu versorgen", sagt Kaplan. Bis zur Revolution war Weißbrot ausschließlich den reichen Städtern vorbehalten. "Für den Rest der Bevölkerung gab es Brot aus Roggen, Hafer, Buchweizen oder Kastanien. Die Revolutionäre wollten gleiches Brot für alle Bürger einführen. Da aber nicht genug Weißmehl vorhanden war, versuchten sie das sogenannte "pain Égalité" durchzusetzen. Das bestand zu einem großen Teil aus Kleien - und war so verhasst, dass die Leute fast wieder auf die Barrikaden stiegen", sagt Kaplan.

Spätestens seit damals sei Weißmehl für die Franzosen zur Obsession geworden, zum Sinnbild von Glück und Wohlstand. Im Gegensatz dazu galt Schwarzbrot in Frankreich bis ins 20. Jahrhundert als Zeichen von Missständen in der Regierung und Bote für schwere Zeiten. Gleichzeitig wurde aus der mit Weißmehl erzeugten Baguette ein Symbol für französisches Savoir-vivre.

In Mitteleuropa war Weizen klimabedingt noch seltener, Weißbrot der Bevölkerung weniger vertraut. "Was aber nicht bedeutet, dass die Deutschen oder die Österreicher schon damals zwischen zahlreichen Schwarzbrotsorten wählen konnten. Auch hier gab es je nach Region nur eine einzige Sorte Brot zu kaufen. Die Vielfalt, die wir heute sehen, ist erst in jüngerer Vergangenheit entstanden", so der Historiker.

Mit dem Aufkommen industrieller Backmethoden in den 1970er-Jahren litt das Handwerk. Die neuen Techniken verdrängten althergebrachte Rezepte und verkürzten die für die Geschmacksentwicklung essenziellen langen Gärungszeiten: "Plötzlich konnte man Brot kaufen, das hochwertig, üppig und teuer aussah - gleichzeitig aber jeden Geschmack verloren hatte."

"Traditionelles Brot"

Anfang der 1990er setzte ein Umdenken ein. So wurde etwa 1993 in Frankreich ein Gesetz eingeführt, das die Bezeichnung "traditionelles Brot" reguliert. Und die darf nur solches Brot tragen, das aus Teig gebacken wird, der nicht tiefgekühlt war, keine Zusätze enthält und ohne technologische Hilfsmittel verarbeitet wird.

Doch selbst in Frankreich würde heute wohl kaum noch jemand gegen den Preis oder die Qualität des Brotes demonstrieren. "Trotzdem hat der Brotpreis in Frankreich lange einen politischen Aspekt bewahrt. Bis 1987 blieb er staatlich reguliert, obwohl das damals schon anachronistisch war. Der Staat wollte seinen Bürgern weiterhin signalisieren: Wir sind da für euer Brot!", sagt Kaplan. "In allen politischen Systemen legitimiert sich die Staatsmacht eben dadurch, dass sie die Bürger vorm Verhungern bewahrt. Wenn sie darin versagt, drohen Instabilität und Gewalt."

In Ägypten ist heute die Armee an der Macht. Und niemand weiß, wann sie sie wieder abgeben wird. Nach wie vor stützen die Militärs den Brotpreis mit gewaltigen Zuschüssen. Gleichzeitig steigt die weltweite Nachfrage nach Weizen ebenso wie die Energiepreise. Das Klima wird wärmer und trockener, Erdöl und Wasser knapper.

Das alles treibt die Spekulation auf die Lebensmittelpreise, was in einigen Staaten zur Unzufriedenheit der Bevölkerung führen wird - und damit zu Landflucht, Auswanderung und zum Ausbruch von Gewalt und Konflikten. "Wir sollten eben nicht vergessen", sagt der Historiker Kaplan, "dass Brot in vielen Ländern für den sozialen und politischen Frieden immer noch jene Bedeutung einnimmt, die es in Europa bis vor wenigen Jahrzehnten noch hatte." (Georg Desrues, Rondo, DER STANDARD, 13.04.2012)